Volkshilfe-Umfrage zu Corona und Kinderarmut

Volkshilfe-Umfrage zu Corona und Kinderarmut

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen eine eklatante Verschlechterung der Lebensqualität von armutsbetroffenen Familien in Zeiten der Pandemie

Die Volkshilfe Österreich hat im Juni eine Umfrage unter armutsbetroffenen Familien in ganz Österreich durchgeführt.

„Wir wollten wissen, wie es armutsbetroffenen Familien und ihren Kindern gerade geht. Wie schlecht sie ihre eigene Lebenssituation seit Corona einstufen, hat selbst uns erschüttert“, sagt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich.

Die Ergebnisse zeigen, wie sehr diese Familien unter den finanziellen und emotionalen Mehrbelastungen durch die Krise leiden. Die Stimmen der Betroffenen bestätigen übereinstimmend das negative Bild, das Expert*innen in den letzten Wochen für armutsbetroffene Kinder gezeichnet haben.

Hinweise zur Umfrage

Die Umfrage der Volkshilfe Österreich zu Corona und Kinderarmut soll eine aktuelle Bestandsaufnahme aus Sicht der Betroffenen darstellen.

Der vorliegende Fragenkatalog zu Corona wurde insgesamt 100 Personen gestellt. Die Interviews fanden telefonisch statt: Feldzeit von 1.6. bis 30.6.2020. Befragt wurden ausschließlich armutsbetroffene Familien mit Kindern, dies bedeutet das aktuelle Haushaltseinkommen muss unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt aktuell bei 1.636 EUR für einen Haushalt mit einem Erwachsenen und einem Kind. Für jedes weitere Kind sind 377 EUR, für jeden weiteren Erwachsenen 629 EUR hinzuzurechnen.

Bei der Befragung wurde auf eine österreichweite Verteilung geachtet. Aufgrund der Sample-Größe kann die Umfrage nur bedingt als repräsentativ gelten. Sie bietet dennoch einen guten Indikator für die Problem- und Stimmungslage von armutsbetroffenen Familien in Österreich. 
 

Lebensqualität in Schulnoten zwischen 4 und 5

50 Prozent der Befragten haben ihre aktuelle Lebensqualität in Zeiten von COVID mit der negativen Schulnote 4 bis 5 beurteilt. Vor Corona hat keine dieser Familien ihre Lebenssituation mit einem Fünfer bewertet und nur 7 Prozent mit einem Vierer. Eine enorm hohe Steigerung, die ein bezeichnender Gradmesser für den verstärkten Benachteiligungseffekt von armutsbetroffenen Kindern in der Krise ist.

Mehr Sorgen um die Zukunft

Mehr als Dreiviertel aller Befragten (79 Prozent) gab an, sich jetzt noch mehr Sorgen über die Zukunft zu machen. Über die Hälfte (55 Prozent) sorgen sich auch, dass ihre Kinder in der Schule nicht gut abschließen werden. Auf die Hälfte der befragten Familien (51 Prozent) hat sich die Corona-Krise finanziell negativ ausgewirkt. Ein recht hoher Prozentsatz, wenn man bedenkt, dass ihr Einkommensniveau schon vor Corona unter der Armutsgefährdungsschwelle lag.

Kinder sind trauriger, einsamer und aggressiver

Auf die Frage, ob und wie sich die Emotionalität ihrer Kinder in der Corona-Krise verändert hat, gaben jeweils mehr als die Hälfte der Eltern an, dass ihre Kinder trauriger (74 Prozent), einsamer (57 Prozent) oder aggressiver (53 Prozent) waren als zuvor.

Erleichterung durch Schulschließung

Aus der Kinderarmutsforschung ist bekannt, dass armutsgefährdete Kinder multiple Benachteiligungen erfahren. Sie haben weniger soziale Kontakte, sind häufiger psychisch belastet und erleben den Schulbetrieb als herausfordernd.

Das bestätigen auch die Ergebnisse der Umfrage der Volkshilfe: Rund ein Viertel der Kinder (23 Prozent) waren erleichtert, dass sie nicht in die Schule mussten. Und ein Fünftel (20 Prozent) war fröhlicher, weil für sie schwierige Situationen wie etwa Mobbing endlich weggefallen sind. 
 

Hohe Belastungen beim Home Schooling

Rund zwei Drittel aller Betroffenen, die befragt wurden, beschrieb die Situation, dass ihre Kinder während der Krise nicht mehr in die Schule beziehungsweise den Kindergarten gehen konnten, als sehr bis ziemlich belastend. Viele berichten von finanziellen Problemen, wegen der Mehrkosten durch das Home Schooling. Neben den bekannten Herausforderungen, wie fehlenden Laptops oder Internetzugang, sowie Mangels an Lernraum, nannten die Meisten (58 Prozent), dass ihnen das Wissen fehle, um ihren Kindern bei den Aufgaben helfen zu können. Auch der Mangel an Zeit, um den Kindern zu helfen wurde als häufiges Problem genannt (38 Prozent). Beides verweist auf den Zusammenhang zwischen Armut und Bildung, sowie die intergenerationale Weitergabe von Armut.

Zwei Drittel der befragten Elternteile gab an, dass die Kontakte mit den Lehrkräften und die Unterstützung durch die Schule ausreichend vorhanden waren. Dieses Ergebnis deckt sich mit einer Umfrage des IHS unter Lehrer*innen, die sagt, dass rund ein Drittel (36 Prozent) der als benachteiligt eingeschätzten Kinder durch das Lehrpersonal nicht oder nur schlecht erreicht werden konnten.

Kinder mit besonderen Bedürfnissen wurden vergessen

Bei den geführten Interviews klagten mehrere Eltern, dass auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen vergessen werde. Mütter und Väter berichteten von ihren Kindern, die unter Lernschwächen, ADHS, Legasthenie oder Dyskalkulie leiden, durch die das Home Schooling deutlich erschwert wurde. Von ähnlichen Schwierigkeiten berichten auch die Eltern eines Kindes mit Asperger Syndrom. Die Tochter einer anderen Familie kann immer noch nicht in die Schule gehen, da sie zur Risikogruppe gehört.

Für die Förderung von Kindern, die spezifische Bedürfnisse haben, gibt es Fachkräfte wie speziell ausgebildete Trainer*innen, eigene Lehrpläne, Kleinklassen etc. Das alles an die Eltern auszulagern, kann schlichtweg selbst unter besten Voraussetzungen nicht funktionieren. Hier wurden Kinder und Eltern zurückgelassen.
 

Forderungen der Volkshilfe zur Verbesserung der Lebenssituation

„Die Maßnahmen der Regierung – wie die Einführung der Sozialhilfe neu sowie die geplante Änderung des Familienbonus Plus – sorgen de facto leider für schlechtere Lebensbedingungen von hunderttausenden Familien in Österreich“, kritisiert Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich.

Der beschlossene Bonus von 360 Euro für jedes Kind, ist als Einmalzahlung für armutsgefährdete Familien vollkommen unzureichend. Die versprochenen weiteren 30 Mio. Euro aus dem Familienhärtefonds, sind eine wichtige akute Hilfe für Familien in Not, lassen aber ebenso eine regelmäßige und dadurch nachhaltige Unterstützung für armutsbetroffene Familien vermissen.

Auch das aktuelle Arbeitslosengeld in Höhe von 55 Prozent des Nettoeinkommens befördert dauerhafte Armut anstatt sie zu bekämpfen. Gerade aufgrund von Corona ist davon auszugehen, dass arbeitslose Menschen derzeit nur schwer einen neuen Arbeitsplatz finden können.

„Kurzarbeit, Rekordarbeitslosigkeit und neue Sozialhilfe stellen einen gefährlichen Brandbeschleuniger für die Ausbreitung von Kinderarmut in Österreich dar. Einmalzahlungen können diesen Brand nicht stoppen. Dazu braucht es nachhaltige Unterstützung. Oder wir zementieren den prekären Status von über 300.000 Kindern auch für die kommenden Jahre weiter ein“, so Fenninger. 

Die Volkshilfe fordert daher…

Armutsfeste Existenzgrundlagen für Familien schaffen: 
 

  • Eine staatliche Kindergrundsicherung
  • Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 75 Prozent
  • Nachhaltige Unterstützung statt Einmalboni
  • Gezielte finanzielle Förderung statt Gießkannenprinzip
     

Sich dem UN-Ziel „Hochwertige Bildung“ verpflichten: 
 

  • Garantie des mittleren Bildungsabschlusses für alle Kinder
  • Bundesweiter Ausbau von Schulsozialarbeit
  • Eine armutssensible Pädagogik in allen Kindergärten und Schulen implementieren, mit Konzentration auf Ermächtigung und Teilhabe
  • Erhebung zum konkreten Wissensstand von Kindern, um gezielte Angebote setzen zu können und zu wissen wie der Corona-Lockdown sich tatsächlich ausgewirkt hat
  • Inklusive Angebote im Herbst, um die Zementierung der Bildungsungleichheit zu verhindern

Quelle: Volkshilfe Österreich Ruth Schink / ots  //  Fotocredit: Symbolfoto

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